LOTTE WAHLE (1884-1952)

    Lotte Wahle, Lottes Vater
    Lottes Vater Georg Heinrich Wahle (1854-1934) am Klavier,
    Kreide, um 1910.
    Privatbesitz


In den ersten Kriegsjahren versorgt Lotte Wahle die im Hause des Vaters untergebrachten Kriegsverwundeten „auf das liebenswürdigste“.
Sie verfällt, glaubt man den Schilderungen ihres Vaters, „nach und nach den krassensten Sezionismus, Expressionismus, Kubismus und ähnlichen Unsinn, bis sie glücklich oder vielmehr unglücklicherweise bei Felix Müller in der tollsten Periode seines Werdens anlangt. [...]Hand in Hand mit diesem ständigen Wandel in ihrer Kunst ging der fortwährende Wechsel ihrer Lebens- und Weltanschauung ständig bergab. Was moderne Schriftsteller und emanzipierte Freundinnen sie als ideal lehrten, das lebte sie mit aller Tatkraft, die ihr reichlich zur Verfügung stand. Mit bewunderungswürdiger Energie folgte sie ihrem Selbständigkeitsdrang. Eine Ehe, und zwar nicht nur die christliche, sondern jede verwarf sie grundsätzlich, weil die ja nach Tradition roch. Das Weib muss sich auf eigene Füße stellen, von jedem Manne, einschließlich Vater, Bruder ganz unabhängig machen. Im krassen Gegensatz dazu stand bei ihr die Natur und der angeborene Familiensinn. Der Schrei nach dem Kinde und die Anhänglichkeit an Vater und Geschwister, ja die Pietät für ihre früh verstorbene Mutter und die christliche Nächstenliebe. Sie fragte mich zwar, ob ich einverstanden sei, wenn sie mich und unsere gemeinschaftliche Wohnung verliesse und in Dresden eine Etage miete, in der auch Felix Müller wohnte, und zeigte mir diese sogar. [...] Kurz die Kreuzung von Geschlechtstrieb, Neuerungs- und Selbständigkeitssucht, stets wechselnder, aber immer ganz abnormer Kunst- und Weltanschauung, empfänglich für jede Einflüsterung moderner Jugend, führten sie unaufhaltsam auf die schiefe Ebene, auf der sie vom Teufel übel geplagt wurde. Ich sah das Elend kommen und konnte doch nichts dagegen tun. Sie verkehrte mit Felix Müller, nicht weil sie ihn liebte, sondern weil sie ein Kind haben wollte und er sich dazu hergab. Sein Anerbieten, sich mit ihr, wenn auch nur für einige Jahre oder kürzere Zeit bürgerlich zu verheiraten, lehnte sie schroff ab. Nicht einmal seinen Namen sollte das Kind tragen.“ (Georg Heinrich Wahle: Lebenserinnerungen. Göschenhaus Grimma bzw. im Original in SLUB Dresden, Sign. MSCR. Dresd. App. 2693)
Es existiert ein Aquarell von Conrad Felixmüller: Vater und Tochter, 1916 Tusche und Aquarell über Bleistiftzeichnung auf Velin 41,5 x 32,2, datiert unten rechts: Conrad Felixmüller 16. Auf der Rückseite betitelt. Privatbesitz
Im Juni/Juli 1920 schreibt Cornelia Gurlitts Mutter Marie: Denkt euch, bei uns ist Lotte Wahle, jetzt Frau Wahle, mit ihrem 2 ½ jährigen Jungen Justus, [...] so kam sie am Donnerstagabend, war zwei Tage in Tegel bei Hildebrand gewesen. Sie klagt nicht, sie weint nicht, sie sieht mutig in die Zukunft, aber mir ist es doch etwas sehr Unbehagliches und Ungewohntes, und [ich] muss sie in meinem Herzen sehr bedauern, dass sie so eine Schuld auf sich geladen und denke, darum kann sie auch nie glücklich werden. Brief im Bestand des Gurlitt Nachlasses TU Dresden

    Lotte Wahle, Paradiesvögel
    Paradiesvögel, o. J. ,
    Webarbeit von Lotte Wahl.
    Privatbesitz


In Brief 121/098 vom 13.8. 1935 bezieht sich Gurlitt Marie auf eine vorausgegangene Mitteilung von Gurlitt Mary über Lotte und Justus in Hamburg und schreibt: „Die gute Wahle muss tüchtig schuften, um durchzukommen, ihre Webereien sind immer sehr apart und hübsch, sie wird mir gewiss im Herbst welche schicken, ich habe immer gut verkaufen können, die Arbeiten sind nicht zu teuer, meistens kleine Objekte. Sie kommt nun auch nicht mehr so oft nach Dresden, Ihr Vater lebt nicht mehr, und das Elternhaus ist verkauft.“ Brief im Bestand des Gurlitt Nachlasses TU Dresden